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Die Aerodynamik Lilienthals

Bernd Lukasch

Lilienthals Weltruhm beruht wesentlich auf seinen erfolgreichen Gleitflügen.
Man betrachtet heute seine ersten tatsächlich beherrschten und damit reproduzierbaren Gleitflüge des Jahres 1891, die eine Weite von nur ca. 25 m hatten, als den Beginn des Menschenflugs. Bereits 1893 erzielte er Flugweiten über 250 m, eine Weite, die er bis zu seinem Tod im Jahre 1896 nicht mehr überbot.

Diese ersten praktischen Erfolge bilden jedoch erst den Schlußpunkt eines Forschungsprogramms, das er mit großer Konsequenz und Kreativität mit Unterbrechungen über mehr als 20 Jahre betrieb, und das wir in heutigen Begriffen als "Beginn der Tragflügel-Aerodynamik" bezeichnen können.

Erst als ihm das experimentelle Datenmaterial und seine Interpretation ausreichend erschienen, und er beides in seinem Buch "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" geschlossen dargestellt hatte, begann er mit der Konstruktion manntragender Flugapparate. Unter seinen flugphysikalischen Arbeiten und Erkenntnissen lassen sich hervorheben:

  • Die schlüssige Darstellung der Tatsache, dass die Arbeit zum Heben eines Körpers (z. B. eines Vogelkörpers) in ruhender Luft grundsätzlich verschieden ist von der Flugarbeit des Vogels;
  • Die experimentelle Darstellung der Vorteile der gewölbten Tragfläche und der Versuch der Interpretation der Ergebnisse durch Strömungsbilder;
  • Die Zerlegung der Luftkraft (Luftkraftresultierende) in ihre hebende (Auftrieb) und ihre hemmende (Widerstand) Komponente;
  • Die Auswertung der Ergebnisse in einer Form, die bis heute in der gleichen Weise verwendet wird, dem sogenannten Polardiagramm;

Polardiagramm

  • Die Untersuchung verschiedener Flügelkonstruktionen und teils experimentell gesicherte, teils intuitive erste Aussagen zu Flügelstreckung, -form und -profil;
  • Die Entwicklung und Verwendung ausgesprochen einfacher Messgeräte, die u. a. die ersten tatsächlich verfügbaren Messwerte zum Tragflügelauftrieb lieferten. Das gelang unter anderem dadurch, dass die Geräte auf Grund ihrer physischen Größe eine ausreichende Größe des Messwertes gegenüber den richtig abgeschätzten Messfehlern erlaubte. Wichtigste Messgeräte waren unterschiedliche Rundlaufapparate und Luftkraftmesser für den natürlichen Wind.

Originalzeichnung Rundlaufapparat Originalzeichnung Luftkraftmesser

Rekonstruktionen befinden sich im Museum.

Lilienthal definiert die Aufgabe seiner Untersuchungen in der eindrucksvollen Formel:

"Alles Fliegen ist Erzeugen von Luftwiderstand, alle Flugarbeit ist überwinden von Luftwiderstand."


Die gewölbte Tragfläche

Der Schlüssel zum Flug war die gewölbte Fläche, wie sie von Lilienthal nach dem Vorbild des Vogelflügels modelliert und vermessen wurde. Lilienthal erklärt ihre überraschenden Eigenschaften so:

"Durch die gewölbte Fläche wird die an ihr vorbeistreichende Luft ... bogenförmig aus ihrer Bahn gelenkt. ... Diese krummlinige Bewegung der Luftteilchen entspricht aber einer ganz bestimmten Zentrifugalkraft, mit welcher diejenigen Teile der Luft, welche unter der Fläche hindurchgehen, von unten auf die Fläche drücken, während diejenigen, welche über die Fläche hinweggleiten, sich von der Fläche zu entfernen streben und eine ebenfalls nach oben gerichtete Saugewirkung hervorrufen. [Lilienthal: "Vogelflug" Kap. 25, S. 80]

1909 nennt Lanchester den Auftrieb der gewölbten Fläche eine der "merkwürdigsten und man kann fast sagen unerwarteten Besonderheiten" und es ist "kaum glaublich, dass eine so hervortretende Besonderheit der Beobachtung jahrhundertelang entgangen ist, aber es scheint doch so zu sein." Und auch 1916 beklagt Albert Einstein in einem Artikel: „Es fehlt jede Klarheit über diese Frage."

1902 war in einem Artikel von Kutta der sogenannte Magnuseffekt, auch als "Effet" des angeschnittenen Tischtennisballes bekannt, durch das Bernoullische Gesetz erklärt. Diese Beschreibung wird auch zur Erklärung des Auftriebs der Tragfläche herangezogen. Er wird erklärt durch den Geschwindigkeitsunterschied der Luftströmung oberhalb und unterhalb der Tragfläche. Dieses einfache Modell ist seit 100 Jahren "Lehrmeinung". In letzter Zeit sind allerdings vermehrt Stimmen zu vernehmen, die das genannte Modell als unbefriedigend bis falsch empfinden. Der Berliner Physiker Hartmut Kerkow zeigt auf Anregung des Museums in einem genial einfachen Experiment, dass die seit 100 Jahren vorherrschende Beschreibung des Auftriebs offensichtlich unzutreffend ist. Lilienthals Beschreibung der Vorgänge am Tragflügel kommt damit zu neuer, später Ehre.