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Das "nach wahren Begebenheiten" geschriebene Berliner Volksstück zeigt offensichtliche autobiographische Züge, wie die nachfolgende Leseprobe offenbart. Der Möbelfabrikant Krüger dürfte als Alter Ego des jungen Maschinenfabrikanten Lilienthal angelegt sein. Die geschilderte Szene spiegelt Lilienthals Anspruch als Unternehmer, der 1890 eine Arbeitnehmer-Gewinnbeteiligung in seiner Firma einführt. Louise Müller trägt die Züge von Agnes Lilienthal und der Konflikt Krüger - Neumann läßt sich leicht in das für Lilienthal so verlustreiche Bausteingeschäft umdeuten. Auch die in der 4. Szene erwähnten zwei Jahre zwischen Patent und Selbstständigkeit stimmen für die Lilienthal-Fabrik.
Das Stück ist ein Folge des Engagements von Otto Lilienthal für das Berliner "Ostendtheater", dessen Miteigentümer er war. Unter seiner Leitung wurde es zu einem Volkstheater unter dem Namen "Nationaltheater".

Das Stück wurde ursprünglich unter dem Pseudonym Carl Pohle veröffentlicht. 1896 trägt es Lilienthals Namen und wird auch unter den Titeln "Gewerbeschwindel" und "So wird es gemacht" aufgeführt.

(Das Stück liegt im online-Archiv des Museum als als Digitalisat vor.)

 

Moderne Raubritter.

Bilder aus dem Berliner Leben.

nach wahren Begebenheiten für die Bühne bearbeitet von
Otto Lilienthal.
Berlin 1896

Verlag von Kühling & Güttner.

Als Manuskript gedruckt.
Für sämtliche Bühnen im ausschließlichen Debit von
Kühling & Güttner
in
Berlin W., Markgrafen-Straße 53,
und ist von denselben allein das Recht der öffentlichen Aufführung zu erwerben.

Der Verfasser.


Personen.

Moritz Neumann, Möbelhändler.
Frau Neumann.
Emil Neumann, beider Sohn.
Wilhelm Krüger, junger Möbelfabrikant.
Louise Müller, seine Braut.
Frau Müller, Louisens Mutter.
August Lehmann, ein Bierfahrer.
Bergemann, Werkführer bei Krüger.
Peters, Schankwirt.
Frau Peters, dessen Frau.
Mariechen Peters, beider Tochter.
Heinrich Köhler, arbeitsloser Tischler.
Frau Köhler, seine Frau.
Bertha, deren Schwester.
Anna, Karl und Lieschen, Köhlers Kinder.
Eine Bettlerin.
Ein Lehrling bei Neumann.
Frau Schulze, Tischlersfrau.
Eine Schneiderin.
Ein Schuster.
Gesellen bei Krüger.
Spieler.
Arbeitslose Tischlergesellen.

Erstes Bild.

1. Szene.

Krüger, Neumann sen. und jun., Bergemann. Mehrere Tischlergesellen der Krügerschen Fabrik.
(Möbelhändler Neumann sen. mit seinem Sohne Emil handeln mit dem jungen Fabrikanten Wilhelm Krüger um einen größeren Auftrag in dessen Comtoir. Einfacher Raum mit einigen Tischlerutensilien. Die Wände hängen voller Papierschablonen. Überall und auch auf dem Fußboden liegen Zeichnungen von Möbeln. Wilhelm Krüger in Hemdsärmeln.)

 

Neumann sen.

Hören Sie mal, alter Freund, so viel verstehen wir von der Möbelfabrikation auch; diese Tische können Sie sehr gut für 30 Mark verkaufen.

Emil Neumann.

Zwei Mark müssen Sie noch ablassen, wenn wir für unseren englischen Export 300 Tische auf einmal nehmen, sonst wird aus dem Geschäft nichts.

Wilhelm Krüger.

Sie können sich denken, meine Herren, daß ich alles thue, um einen so großen Geschäftsabschluß mir nicht entgehen zu lassen. Am Holz und an den Metallbeschlägen ist nichts zu sparen, ich müsste also gerade meine Leute schlechter bezahlen, und ehe ich zum Schinder an meinen Arbeitern werde, verzichte ich doch lieber auf Ihren Auftrag.

Neumann sen.

Was heißt, zum Schinder an Ihren Arbeitern werden? Thun Sie nur nicht so, junger Freund! Mit Ihrer Menschenfreundlichkeit werden Sie nicht weit kommen. Die Hauptsache bleibt doch, daß Sie schließlich Ihre Rechnung bei dem Geschäft finden.

Wilhelm.

Darüber denke ich nun anders, Herr Neumann. - 25 bis 30 Mark muß ein eingeübter, zuverlässiger Arbeiter die Woche verdienen, das ist das Mindeste, was eine Arbeiterfamilie braucht, und wenn ich diesen Verdienst meinen Leuten nicht verschaffen kann, dann danke ich dafür, Arbeitgeber zu sein.

Emil Neumann.

Nur nicht so hitzig, Herr Krüger!

Neumann sen.

Es sollte mir wirklich leid thun, lieber Krüger, wenn an dem Preise sich das ganze Geschäft zerschlüge. - Über die Muster sind wir einig, auch über den Lieferungstermin. Nur der Preis ist noch zu hoch. Bedenken Sie doch: 300 Tische! Können Sie sich ein glatteres Geschäft vorstellen? Und dann bei Lieferung bare Kasse. (Macht die Zählbewegung mit dem Daumen.)

Wilhelm
(steht sinnend und mit dem Kopf schüttelnd).

Neumann sen. (weitersprechend).

Seien Sie also vernünftig und sagen Sie "30 Mark pro Stück," dann ist das Geschäft erledigt.

Emil Neumann.

Wollen Sie 30 Mark, ja oder nein?

Wilhelm.

Von 40 Mark haben Sie nun schon bis auf 32 Mark heruntergehandelt. Wenn ich diesen Preis nicht erziele, muß ich auf die Lieferung verzichten, so gern ich diesen größeren Auftrag erhielte.

Neumann sen.
(fasst Wilhelm bei der Schulter).

Ich will Ihnen was sagen, Herr Krüger, Sie sind ein junger Anfänger; es muß Ihnen doch daran liegen, daß Ihre Fabrikate auch im Auslande recht bekannt werden, und eine bessere Gelegenheit kann es doch nicht geben, als wenn wir gleich 300 Ihrer Patenttische nach England schicken.

Wilhelm.

Ja, ja, das ist alles recht schön.

Neumann sen.

Wissen Sie was, Herr Krüger? Ich schlage Ihnen vor, teilen wir uns die Differenz. Sie haben nachgelassen bis auf 32 Mark, wir wollen 30 Mark geben, nehmen wir pro Stück 31 Mark an. Ich wiederhole noch einmal: "Kassazahlung am Lieferungstage!"

Wilhelm (nach kurzem nachdenken).

Gut, Herr Neumann, um dem Handel endlich ein Ende zu machen; schreiben Sie den Kontrakt auf 31 Mark pro Stück.

Neumann sen. (zu Emil).

Notiere den Preis. (Zu Wilhelm.) Das wäre also abgemacht. Nun möchte ich noch schnell einen Blick in Ihre Fabrik werfen; Sie haben gewiß recht praktische Einrichtungen.

Wilhelm.

Treten Sie hier nur ein, meine Herren.
(Gehen alle drei durch die Seitenthür in die Werkstatt.)

2. Szene.

Bergemann, Werkführer bei Krüger. (später) Franz, ein junger Tischler.

 

Bergemann
(aus der Werkstatt kommend, auf die herumliegenden Zeichnungen sehend).

Na, die haben hier schön gehaust, das muß eine schwere Sitzung gewesen sein. (Nimmt einige Zeichnungen vom boden auf und legt sie auf einen Tisch.) Aber bestellt werden sie wohl haben, sonst würden sie nicht so vergnügte Gesichter machen. (Sieht sich nach dem aus der Werkstatt kommenden Franz um.) Was wollen Sie denn, Franz?

Franz (in Militärhose und Ulanenmütze ohne Schirm).

Herr Bergemann, ich hätte eine Bitte, wollen Sie nicht bei dem Meister ein Wort für mich einlegen? Ich möchte gern etwas Zulage haben.

Bergemann.

Jetzt schon Zulage, und sind erst sechs Wochen bei uns?

Franz.

Ich möchte gern heiraten.

Bergemann.

Was? Sie wollen heiraten und sind kaum von den Ulanen frei gekommen?

Franz.

Ich muß heiraten, Herr Bergemann, ich möchte das Mädchen nicht unglücklich machen, und dann würde es hohe Zeit sein, daß wir uns trauen lassen.

Bergemann (mit dem Finger drohend).

Da sieht man's wieder, die Ulanen sind doch die allergefährlichste Truppe. - Na, - ich werde sehen, was sich machen läßt.

Franz.

Ich danke schön, Herr Bergemann. (Ab).

3. Szene.

Bergemann. (Dann) Zwei Tischler.

 

Bergemann
(lässt aus der Werkstatt zwei Tischler mit einem Pianino herein, die es an Gurten tragen).

Kommt nur hier durch das Comptoir und setzt es da hinein (ihnen die der Werkstatt gegenüberliegende Thür zum Nebenraum öffnend, dann ab in die Werkstatt).

Erster Tischler.

Wart' doch einen Augenblick, so ein Klavier hat es in sich. (die ganze Unterhaltung wird über das Klavier hinweggeführt.)

Zweiter Tischler.

Wat soll denn eegentlich damit gemacht werden?

Erster Tischler.

Es gehört der Braut von unserem Meester, und der will et selber wieder in Stand setzen.

Zweiter Tischler.

Mich soll wundern, ob Franz bei dem allen heute Glück hat.

Erster Tischler.

Du meinst, ob Franz, der Gardeulan, Zulage bekommt? Na, sicher, der Meester will doch selber bald heiraten, und weiß daß heiraten Geld kostet.

Zweiter Tischler.

Noch dazu, wenn man, wie unser Oller, een armet Mädchen nimmt. Überdies ist der Olle heut gut gelaunt.

[...]

4. Szene.

Neumann sen. und jun. Wilhelm. (Dann) Ein fremder Arbeiter.
(Beide kommen mit Wilhelm Krüger aus der Werkstatt zurück in das Comtoir.)

 

Neumann sen.

Wirklich brav, sehr brav, mein lieber Herr Krüger, eine höchst achtenswerte Leistung, das alles ohne fremde Hülfe zu schaffen. Es freut mich, daß ich Ihr Geschäft durch eine große Bestellung fördern kann; ich unterstütze gern so tüchtige junge Anfänger. - Habe übrigens selten so sinnreiche Einrichtungen gesehen, wie bei Ihnen.

Wilhelm.

Sehr schmeichelhaft, Herr Neumann.

[...]

Neumann sen.

Ihre Möbel sind durch die Bank sehr geschmackvoll. Wer hat Ihnen denn die Zeichnungen dazu gemacht? Sie haben doch gewiß einen Architekten an der Hand, der Ihnen diese stilvollen Muster liefert.

Wilhelm.

Die Muster habe ich selbst entworfen, fremder Hilfe bedarf ich nicht.

Neumann sen.

Das muß ich gestehen, junger Freund, ihre Vielseitigkeit überrascht mich. Alles, was bei Ihnen steht, deutet auf Talent und Geschick.

Wilhelm.

Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Neumann. Aber wenn man sich ausschließlich mit einigen Spezialartikeln beschäftigt, dann kommt man von selbst auf das Beste und Praktischste.

Neumann sen.

Schöne Spezialität, diese Tischchen, leicht, bequem! Wenn man so ein Ding gebraucht hat, wird es einfach zusammengeklappt und an die Seite gestellt. (Macht entsprechende Handbewegungen.)

Emil Neumann.

Wie lange haben Sie denn an dieser Erfindung getüftelt?

Wilhelm.

Zwei Jahre sind wohl vergangen, bis ich die Herstellung fabrikmäßig betreiben konnte.

Neumann sen.

Sie waren doch bei Krause und Comp. Werkmeister. Hatten denn diese Leute nicht Lust, Ihre Erfindung zu verwerten?

Wilhelm.

Sie hatten keine rechte Meinung von der Sache, wenigstens gaben sie sich den Anschein. Außerdem wollte ich mich selbständig machen. Das kann man aber nur, wenn man gutgehende Spezialartikel führt, die durch Patente geschützt sind.

[...]