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Otto Lilienthal: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst, Berlin 1889

Kapitel 24

Die Vorzüge des gewölbten Flügels
gegen die ebene Flugfläche.

Um einen Vergleich anstellen zu können zwischen dem Luftwiderstand der ebenen und gewölbten Fläche, sind in Fig. 26 und Fig. 27 zwei gleich große Flächen a b und c d im Querschnitt dargestellt, welche auch unter gleichen Neigungen, etwa von 15°, zum Horizont gelagert sind, vorausgesetzt, daß man bei der gewölbten Fläche die Verbindungslinie der Vorder- und Hinterkante, also die gerade Linie c d als Richtung ansieht.

Originalzeichnung   Originalzeichnung

Wenn diese Flächen nun an einem Rotationsapparat, Fig. 14, horizontal mit gleicher Geschwindigkeit durch ruhende Luft bewegt und gesondert auf ihren Widerstand untersucht werden, so erhält man die horizontalen Luftwiderstandskomponenten o e und p f und die vertikalen Komponenten o g und p h, welche in richtigen Verhältnissen, wie sie sich aus den Versuchen ergaben, in den Figuren eingetragen sind.

Diese Komponenten geben nun durch Bildung der Resultanten die absolute Größe und Richtung der Luftwiderstände o i bei der ebenen und p k bei der gewölbten Fläche.

Um deutlich zu erkennen, von welcher Tragweite dieser verschiedene Ausfall des Luftwiderstandes für die Fliegearbeit ist, denke man sich beide Flächen horizontal gelagert und dafür die Geschwindigkeitsrichtung um denselben Winkel von 15° abwärts geneigt. Es entstehen dann Fig. 28 und Fig. 29, und bei denselben absoluten Geschwindigkeiten müssen auch dieselben Luftwiderstände gegen die Flächen sich bilden, und zwar wieder o i und p k, die auch gegen die Flächen noch dieselben Richtungen haben wie früher.

Originalzeichnung   Originalzeichnung

Werden die Flächen a b und c d in dieser Lage mit den gleichen Geschwindigkeiten v als Flugflächen verwendet, so fällt zunächst auf, daß die gewölbte Fläche bei derselben Geschwindigkeit eine größere Hebewirkung ausübt, sie könnte also langsamer bewegt werden als die ebene Fläche, um denselben Hebedruck zu erzielen wie letztere, und es würde hierdurch direkt an Arbeit gespart.

Was aber noch wichtiger zu sein scheint, ist die bei der gewölbten Fläche auftretende vorteilhaftere Richtung des Luftwiderstandes.

Die hemmende Komponente o l bei der ebenen Fläche zeigt sich bei der gewölbten Fläche nicht, sondern es tritt dafür eine treibende Komponente p m auf. Das Vorhandensein der hemmenden Komponente o l bei der ebenen Fläche war aber das eigentliche Hindernis für die Erzielung von Kraftersparnis durch Vorwärtsfliegen. Dieses Hindernis aber besitzt die schwach gewölbte Fläche nicht, und aus diesem Grunde treten bei ihr alle jene Vorteile auf, welche bei der ebenen Fläche fälschlich gemutmaßt und vergeblich zu erreichen gesucht wurden.

Es ist nach Einsichtnahme dieser Luftwiderstandsverhältnisse auf den ersten Blick zu erkennen, daß die gewölbten Flügelformen wohl geeignet sind, durch Vorwärtsfliegen ganz bedeutend an Fliegearbeit zu sparen. Bevor jedoch näher auf die Größe dieser Arbeitsersparnis eingegangen wird, soll eine theoretische Betrachtung über die Entstehung dieser für die Flugtechnik sowohl als für die gesamte fliegende Tierwelt gleich wichtigen Eigenschaften des Luftwiderstandes vorausgeschickt werden.